Afrika-Bulletin Ausgabe 103; August / September 2001


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Highlife in Basel

Das musikalische Vermächtnis der Union Trading Company

von Veit Arlt



Wohl in keinem anderen Land Afrikas ist "Basel" im Bewusstsein der Bevölkerung so präsent wie in Ghana. Dies geht auf die nahezu 150-jährige Verbindung der Basler Mission mit der damaligen Goldküste zurück. Nun standen die einer pietistischen Tradition entstammenden Schwestern und Brüder aus Basel nicht unbedingt im Ruf, einheimische Musik- und Tanzformen und deren Entwicklung zu moderner Unterhaltungsmusik zu fördern. Die vielfältigen, auch wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Ghana und Basel haben jedoch ein eigenständiges Leben entwickelt, das die strengen Moralvorstellungen der Mission zuweilen unterlief: Das zeigen die von der ehemaligen Basler Handelsgesellschaft aufgenommenen und vertriebenen Schallplattenaufnahmen populärer Highlife-Musik, deren Geschichte Veit Arlt erzählt.

Als vor Kurzem die Handelsfirma Union Trading Company (UTC) ihre Geschäfte beendete, ist dies in Basel nur Insidern aufgefallen. Der Firmensitz am Petersgraben 35, der einst mit seiner modernen Architektur Akzente setzte, musste schon in den achtziger Jahren mit dem Bau des WWZ viel von seiner städtebaulichen Wirkung einbüssen. Kaum ein Passant realisiert, dass es sich bei diesem Gebäude um den Hauptsitz eines weltweit operierenden Konzerns handelte, der seine Wurzeln im Afrikageschäft hatte. Ist die Firma in Basel mehr oder weniger sang- und klanglos von der Bühne getreten und war ihr Name hierzulande schon seit längerem nur noch Wenigen ein Begriff, so geniesst sie in Ghana noch über ihr Ableben hinaus einen geradezu legendären Ruf. Der UTC Schriftzug ist jüngst vielerorts demontiert worden, doch an unzähligen Orten in ganz Ghana werden mit den drei Buchstaben noch immer markante Gebäude und sogar ganze Stadtquartiere in Verbindung gebracht - wer in Accra Musik kaufen will, findet sie am besten "around UTC".

Hier hat die Firmengeschichte zur zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts ihren Anfang genommen. Die Basler Mission hatte einen "Handelsbruder" beauftragt, die Versorgung des Missionspersonals mit europäischen Gütern sicherzustellen. Im Handumdrehen entwickelte sich aus dessen Tätigkeit ein Import-Export Geschäft, das weit über die Vorstellungen der Missionsleitung hinausging und schon bald die Abtrennung des Handels von der Mission bewirkte. So entstand erst die Basler Missions-Handelsgesellschaft, dann die Basler Handelsgesellschaft und schliesslich die Union Handelsgesellschaft oder UTC. Das Netz ihrer Filialen überzog die Kolonie bis in deren entlegenste Winkel.

Wie im Städtebild so hat die UTC auch in der ghanaischen Geschichte, vor allem aber in der Alltagsgeschichte ihre Spuren hinterlassen. Zusammen mit dem Namen Basel Mission verkörpert die UTC noch immer das schweizerische und deutsche Engagement in Ghana. Das sang- und klanglose Verschwinden der Firma stösst auf Unverständnis. Der Schriftzug UTC steht aber auch für eine lange Reihe von Produkten, die die Alltags- und Konsumkultur Ghanas geprägt haben. Neben Autos, Näh- und Schreibmaschinen waren dies unter anderem auch Grammophone und Schallplatten.

Afrikanische Musik - ein blühendes Geschäft

Dieses neue Medium fand schnell seinen Weg in die Kolonien und schon bald wurde auch in den entlegensten UTC-Verkaufsstellen die Magnetwirkung der Musik ausgenutzt. Als dann Ende der zwanziger Jahre die ersten Schellackplatten mit Aufnahmen lokaler Musik auf den Markt kamen, kam es zu einem wahren goldrush in der afrikanischen Musikindustrie.

Wie viele andere Handelsfirmen auf der Goldküste sprang die UTC auf diesen Zug auf und entsandte einen Tontechniker mit mobilem Studio nach Afrika. Dieser richtete sich in den Lagerhallen der verschiedenen regionalen UTC Niederlassungen ein und nahm relativ wahllos populäre Musik auf. Es ist bemerkenswert, dass die UTC bei diesen Aufnahmen keine enge Strategie verfolgte, sondern sich auf die Empfehlungen ihrer lokalen Mitarbeiter verliess. So entstanden in den 30er Jahren 225 Schallplatten, die in England unter dem Label Parlophone produziert wurden und in Ghana reissenden Absatz fanden. Dieser erste Boom wurde nur von der Weltwirtschaftskrise gestört. Der zweite Weltkrieg aber schob der Musikindustrie erneut einen Riegel vor. Die benötigten Rohstoffe waren kriegswichtig und die Transportwege gestört.

Umso heftiger setzte nach dem Krieg ein zweiter Boom ein, an dem die UTC mit einiger Verzögerung in den 50er Jahren teilhatte. Die Firma war von der Kolonialregierung wegen ihrer Verbindungen zu Deutschland als feindlich deklariert und ihr Besitz in Ghana konfisziert worden. Doch von 1954 bis 1957 nahm sie ihre Aktivitäten wieder auf und produzierte in der Goldküste, und neu auch in Nigeria, weitere 500 Titel.

Roots of Highlife

Die von der UTC aufgenommene Musik deckt ein weites Spektrum ab und dokumentiert die Entwicklung hin zum modernen Highlife, dem musikalischen Markenzeichen der Republik Ghana. Die Vielschichtigkeit

und Vielfalt dieser Musik zeugen davon, dass sie aus dem Zusammentreffen verschiedenster musikalischer Praktiken entstanden ist und erzählen von den Migrationsbewegungen entlang der Guineaküste, dem transatlantischen Sklavenhandel und der kolonialen Erfahrung. Eine wichtige Rolle spielten die Kru-Seeleute von Liberia: Angeheuert auf europäischen oder amerikanischen Handelsschiffen und auf ihren eigenen Handelsfahrten entlang der westafrikanischen Küste bis an den Kongo verbreiteten sie sowohl die Gitarre und die Konzertina wie auch den Shanty-Gesang. Die Gitarrenriffs mainline, fireman und dagomba brachten sie von Liberia her, den gombe aus Sierra Leone. All diese musikalischen Motive finden sich selbst in den modernsten Formen von Highlife wieder.

Gitarre und Konzertina fanden zuerst in der sogenannten palm wine music grosse Verbreitung. Diese Musik war vor allem im ländlichen Gebiet sehr populär, wo sich beim Genuss von Palmwein oder dem aus ihm destillierten akpetshi die Menschen rund um einen Gitarristen einfanden, der sie (motiviert durch den ihm spendierten Alkohol) mit seinen Liedern und Sketches unterhielt. Meist waren es Trios mit einfachsten Instrumenten. Die Gitarre war oft selbst gebaut und bestand wie die box drum im wesentlichen aus einer Holzkiste. Eine mit einer Münze oder einem Stöckchen geschlagene Bierflasche ergänzte das Ensemble. Diese Trios entwickelten sich mit dem Einzug der elektrischen Gitarre teilweise weiter zu guitar bands, die mit zusätzlichen Gitarristen und Perkussionisten spielten. Auch populäres Theater, sogenannte concert parties, wurde von diesen Gruppen aufgeführt, wobei die Musiker gleichzeitig die Akteure waren. Dieses Genre erfreut sich auch heute noch grosser Beliebtheit.

Verschiedene neue populäre Tanzstile wie der ashiko aus dem Fantegebiet und der osibisaba verbreiteten sich sehr zum Leidwesen der Basler Missionare um die Jahrhundertwende sehr schnell in der Goldküste. Selbst die Kolonialregierung verdächtigte diese ländlichen Tanzveranstaltungen - nicht zu Unrecht - eines subversiven Einflusses, waren doch ihre Lieder ein wichtiges Kommunikationsmittel für die breiten "ungeschulten" Bevölkerungsschichten.

Auch die Missionen selbst hatten mit ihren Chorälen und ihrer Bibellehre grossen Einfluss. Kirchenchöre und sogenannte singing bands erfreuten sich grosser Popularität und Mobilität innerhalb des Netzwerks der christlichen Gemeinden. Allerdings lösten sich die singing bands auch von den Kirchenstrukturen los, und es bildeten sich unabhängige eher an einzelne Ortschaften oder Personen gebundene Chöre.

Mit dem Auftreten der westindischen Kolonialtruppen schliesslich fand auch die Blas- und die Marschmusik grosse Verbreitung. Diese regimental bands wurden kopiert und vielerorts entstanden lokale brass bands. Der Unterhalt einer solchen Musikgruppe war ein Mittel, um persönlichen Reichtum und Status auszudrücken. Gerade unter den Kakao-Bauern Ost-Ghanas gab es viele big men, die sich eine solche Band hielten. Bei Beerdigungen, die in Ghana ein wichtiges Mittel sind, um den Status einer Person auszudrücken, sind solche brass bands auch heute noch anzutreffen.

Am anderen Ende des Spektrums stehen schliesslich die dance bands, eigentliche Tanzorchester, die in den Tanzhallen an der Küste für die Eliten spielten. Sie mischten lokale Musik mit europäischer und amerikanischer: Walzer, Rumba, Foxtrott, Calypso und Cha Cha Cha. Ihre Musik blieb vorerst den Eliten vorbehalten und dies prägte dann auch den Begriff high life. Doch spätestens mit dem Wahlkampf im Vorfeld der Unabhängigkeit Ghanas wurde der Highlife zur Nationalmusik, als E.T. Mensah und seine dance band für die Partei Kwame Nkrumahs an den Wahlveranstaltungen aufspielte.

From Palm Wine Music to Dance Band Highlife

Heute beherbergt das UTC Gebäude am Basler Petersgraben unter anderem einen Teil der Administration der Universität Basel. Wer das Gebäude betritt, dem fallen im Treppenhaus die prächtigen gewebten Kente-Tücher aus Ghana auf, die in grossen Glaskästen ausgestellt sind und von der glorreichen Vergangenheit des Unternehmens zeugen. Das eigentliche Archiv der UTC ist inzwischen vom Archiv der Basler Mission übernommen worden. Hier sind nun auch die gut 900 Schallplatten zu finden, die die UTC in Westafrika aufgenommen hat. Sie stellen eine einzigartige Sammlung dar, sind sie doch zum grössten Teil ungespielt und in sehr gutem Zustand.

Das von Serena Dankwa geleitete Projekt "From Palm Wine Music to Dance Band Highlife", das teilweise innerhalb des ABSA Festivals durchgeführt wird, hat sich zum Ziel gesetzt, die UTC Schallplatten der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dafür gibt es zwei Motive: Die hier in Basel vorhandene Musik ist in den Ursprungsländern kaum vorhanden. In diesem Sinne wird eine Kulturgüter-Rückführung angestrebt. Das zweite Motiv ist ein akademisches: Populäre Musik ist in der jüngsten Zeit von den Sozial- und Geisteswissenschaften als wichtige Informationsquelle entdeckt worden. Im Bereich der Afrikastudien werden solche Liedtexte schon seit gut 20 Jahren genutzt. Mit dem Erstarken dieses Studienzweiges in Basel gewinnen die UTC Schallplatten auch für die hiesige Universität grosse Bedeutung.

Für die Konservierung der Schellackplatten drängen sich kaum Massnahmen auf: Das Medium ist langlebiger als alle modernen Tonträger und nur wenig gefährdet. Ganz anders sieht es bei der

Zugänglichkeit aus: hier besteht einerseits Bruch- und Abnutzungsgefahr, andererseits stellen die Schellackplatten grosse Anforderungen an Abspieltechnik und Handhabung. In beiden Bereichen ist die nötige Infrastruktur nicht gegeben. Langfristig strebt das Projekt deshalb die Digitalisierung der gesamten Sammlung an. Dies würde einen leichten Zugriff zu den einzelnen Titeln erlauben und auch ihren Transfer in die Ursprungsländer ermöglichen.

Als Pilotprojekt wurde eine Compact Disc mit 20 Titeln aus dieser Sammlung erarbeitet, die am 1. September im Rahmen eines Highlife-Konzerts der Öffentlichkeit vorgestellt werden soll. Damit wird ein Interesse und Bewusstsein für die Sammlung geweckt und ein erster Schritt zur Digitalisierung der Schallplatten unternommen.

Veit Arlt ist Historiker und arbeitet an einer Dissertation zur Geschichte Ghanas. Serena Dankwa ist Musikerin und Journalistin bei DRS 3 und 2.





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