Basler Magazin 11; 16. März 2002
(Politisch-kulturelle Wochenend-Beilage der Basler Zeitung Nr. 64)


Palmwein und Popmusik



von Veit Arlt*





Einst war sie ein Aushängeschild der jungen Republik, heute fehlt die populäre Tanzmusik Ghanas auf dem Weltmusikmarkt. Eine Spurensuche in Accra und Basel.


Freitag, 4. Januar: Ein lauer Abend hat den schwül-heißen Tag in der ghanaischen Hauptstadt Accra abgelöst. Im lauschigen Innenhof des DuBois-Zentrums gibt der Gitarrist KWABENA NYAMA mit seiner Band ein Konzert. Der alte Musiker spielt eine für unsere Hörgewohnheiten schräg gestimmte Gitarre. Ein mit Gummiringen auf dem Griffbrett fixierter Bleistift dient als Kapodaster. Die Instrumente seiner Mitmusiker muten nicht weniger archaisch an: Auf einem leeren Limonaden-Fläschchen wird mit einer Münze der typische Offbeat geschlagen, ein enormes Daumenklavier liefert den Bass dazu. Das Geräusch von zwei Konservendosen, die aneinandergerieben werden, gibt der Musik ihren ganz eigenen Charakter.

Rund fünfhundert Zuhörerinnen und Zuhörer kriegen einen veritablen afrikanischen Blues zu hören. Vielfache, sich überlagernde Rhythmen unterlegen die melancholischen Texte. Es ist eine Musik, wie sie heute in Ghana kaum mehr zu hören ist. Aus den allgegenwärtigen Lautsprechern dröhnen die künstlichen Klänge von Rhythmus-Maschinen und Synthesizern. Statt Live-Musik wird Musik ab Kassette gespielt. Erst schwächte eine Reihe von politischen Umstürzen und Ausgangssperren die lokale Musikszene, und dann behinderte das Diktat der Strukturanpassungsprogramme ihre Erneuerung. In der Folge hat die billige Elektronik nicht nur Instrumente, sondern auch viele Musiker ersetzt.

MUSIK ALS NATIONALES SYMBOL

Palmweinmusik nennt sich die unverstärkte, neotraditionelle Musik, die Nyama spielt. Sie entstand in den Kneipen der Hafenstädte, in denen im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert Matrosen aus Liberia und Sierra Leone Station machten. Ihre Instrumente, Rhythmen und Melodien begegneten an der Küste Ghanas lokalen Musikstilen, und es entstand eine neue populäre Musik. Bald fand sie ihren Weg ins Hinterland. Palmweinmusik ist eine der Wurzeln des Highlife, der populären Tanzmusik Ghanas, die mit der Unabhängigkeit des westafrikanischen Staates internationale Bekanntheit erlangte. Damals ließ Präsident NKRUMAH selbst für seinen Staatsbesuch in der Schweiz eine eigens eingeflogene Band aufspielen.

Das Publikum im DuBois-Zentrum hört an diesem Abend Musik von vier weiteren Gruppen. Das Programm führt quer durch die Geschichte der populären Musik Ghanas von der A-cappella-Kirchenmusik über den Swing bis zum Afrobeat. Dieses seltene Hörerlebnis findet unter dem Patronat der Schweizer Botschaft in Accra statt und wird von Schweizer Firmen finanziert.

Anlass für das Konzert ist die Plattentaufe einer Compact Disc mit historischen Aufnahmen populärer Musik aus Ghana. Das große Publikumsinteresse macht deutlich, dass diese kratzige Musik aus den Archiven nicht nur Liebhaber anspricht. Doch was haben die Schweizer Botschaft und die Sponsoren für ein Interesse an dieser Musik?

Botschafter PETER SCHWEIZER geht in seiner Rede auf die historischen Beziehungen der Schweiz und speziell Basels zu Ghana ein.

Tatsächlich wurde die Compact Disc Ghana Popular Music 1931-1957 in Basel konzipiert im Rahmen eines Projekts zur Erschließung eines Bestandes von über 900 historischen Schellackplatten. Diese Musik wurde von der Union Trading Company, einer Tochter der Basler Handelsgesellschaft, aufgenommen und ruhte während mehr als fünfzig Jahren im Keller der Firma. Die Aufnahmetätigkeit war nur eine von vielen Sparten des Unternehmens auf der damaligen Goldküste gewesen. Unlängst hat die Firma ihre Geschäfte eingestellt. In ihrem Archiv fanden sich auch die erwähnten Schellackplatten. Es handelt sich dabei um Belegexemplare oder um Testplatten mit Musik, welche den Markt in manchen Fällen gar nie erreicht hat.

Schon im Vorfeld der Plattentaufe spielten die ghanaischen Radiostationen Titel von der Compact Disc. Die alte Musik machte sich fremd aus zwischen Soul, Pop und Rap. Sie löste gleichermaßen Begeisterung wie Diskussionen aus, in denen oft das Fehlen der ghanaischen Musik auf dem Weltmusikmarkt thematisiert wurde. Hier dominieren Projekte wie Produktionen von RY COODER mit dem Buena Vista Social Club oder mit dem malischen Gitarristen ALI FARKA TOURÉ.

In den Gesprächen tauchte immer wieder ein Symbol aus der Kultur der Akan auf: Sankofa. Es bezeichnet das Bild eines Vogels, der über seine Schulter zurücksieht. Sankofa lädt uns ein, auf unserem Weg in die Zukunft das Vergangene und seine Lehren zu berücksichtigen.

HISTORISCHE MUSIK ALS RESSOURCE

Kann die Musikindustrie Ghanas wirklich von diesen historischen Aufnahmen profitieren? Der Experte JOHN COLLINS bejaht diese Frage entschieden. In einem Interview spricht er von einem nur scheinbar internationalen Erfolg der ghanaischen Superstars von Heute. Denn in Europa und Amerika spielen diese Musiker hauptsächlich vor ghanaischen Migranten. Ihre CDs und Kassetten erreichen erst gar nicht die Plattenläden, sondern werden in den Afro-Shops zwischen Kochbananen, Maggi-Würfeln und Kunsthaar angeboten. Denn das hiesige Weltmusikpublikum mag keine elektronisch produzierte Musik aus Afrika kaufen. Für die ghanaische Musikszene erhofft sich Collins kreative Impulse durch den genialen Umgang mit lokalen und fremden, alten und neuen Instrumenten, wie er auf der CD Ghana Popular Music 1931-1957 dokumentiert ist.

Seine eigene Highlife Band macht beispielsweise Gebrauch von der Harfen-Laute Seperewa und der viereckigen Gumbe-Trommel. Diese basiert auf einem Design, das mit dem Sklavenhandel in die Karibik gelangte, dort verändert wurde und dann mit freigelassenen Sklaven seinen Weg zurück nach Westafrika fand. Auch das schon erwähnte Bass-Daumenklavier ist ein solches neotraditionelles Instrument. Seine freischwingenden Zungen bestehen aus Stahlbändern, wie sie zur Verpackung von Frachtgut verwendet werden.

Die Ghanaer nahmen auch Instrumente aus industrieller Fertigung sehr schnell auf. Schon im neunzehnten Jahrhundert eroberte die Handorgel die Goldküste. Gitarre, Kontrabass und Blechblasinstrumente fanden ebenfalls Verbreitung. Gerade diese Innovationsfreude hat allerdings auch zur Verdrängung nicht nur der ursprünglicheren Instrumente aus der ghanaischen Musik beigetragen. Ghanaische Migranten ließen sich in den achtziger Jahren von der Neuen Deutschen Welle inspirieren, und ihr synthetischer Highlife hat viele Instrumentalisten arbeitslos gemacht.

Heute ist die Musik Ghanas stark von HipHop und Rap geprägt - genauso wie sie schon früher Ragtime, Rumba oder Reggae in eine entschieden ghanaische Musik verwandelt hat. Doch was heute meist fehlt, ist die spontane, kreative Dynamik, die entsteht, wenn Instrumentalisten zusammenwirken, und die als typisch für die Musik Afrikas gilt.

In jüngster Zeit haben sich einige Weltmusikproduzenten der ghanaischen Musik zugewendet und versuchen, sie in ein exportfähiges Format zu bringen. Ihr Rezept besteht in einer Rückbesinnung auf das Know-how der älteren ghanaischen Musiker, ohne deshalb die aktuellen Trends in Ghana aus den Augen zu verlieren. Schon im letzten Jahr erschien eine sehr ansprechende Highlife-Allstars-CD beim deutschen Network Label. Die dazugehörige Band verstand es. auf ihrer Europa-Tournee das Publikum zu begeistern. Leider schloss ihre Agenda die Schweiz nicht mit ein.

Einer, der demnächst in der Schweiz auftreten soll, ist jedoch Kwabena Nyama. Letztes Jahr erschien seine erste Compact Disc, ein Geheimtipp besonders für Liebhaber des afrikanischen Blues. Mit seinen siebenundsiebzig Jahren ist Nyama nicht mehr der Jüngste. Scheut er die Reise nach Europa denn nicht? "Boxerman never fear!" entgegnet er in seinem typischen Pidgin-Englisch und lacht vergnügt.

KULTURGÜTERTRANSFER HAUTNAH

Anlässlich seines Auftritts in Accra zu Beginn dieses Jahres konfrontierte ich Nyama mit zwei jener Aufnahmen, die ein UTC-Techniker vor knapp 50 Jahren mit ihm machte. Es war ein emotionaler Moment, als sich der alte Mann plötzlich in seine Jugend zurückversetzt sah.

Seit Jahrzehnten hatte er diese Aufnahmen nicht mehr gehört. In die Freude mischte sich auch Frustration. Denn außer jenen fünf Pfund, die er damals bar erhielt, hat Nyama nie mehr ein Einkommen aus dieser Produktion gehabt. Die UTC-Schellack-Platten wurden zu einer Zeit vertrieben, als es in Ghana noch kein Copyright-Gesetz gab, und folglich brachte auch ihre Wiedergabe im Radio keine Tantiemen ein. Dies ist ein weit verbreitetes Problem für die älteren Musiker in Ghana.

Nyama hofft nun, dass es bald eine weitere Kompilation mit historischen Aufnahmen aus dem Basler Archiv geben wird, die einen seiner Titel enthält. Für Musikschaffende wie ihn ist eine solche Neuauflage eine Möglichkeit, mit ihrem Werk Geld zu verdienen.

Die Hoffnungen sind berechtigt, denn für die Basler Initiatoren ist klar, dass es für einen gelungenen Kulturgütertransfer nicht genügt, digitale Kopien der Basler Schellackplatten in ghanaische Archive zu transferieren. Nur über weitere Veröffentlichungen, die im Radio wiedergegeben werden können, erreicht die Musik die breite ghanaische Öffentlichkeit.

BEZUGSNACHWEISE:
Ghana Popular Music 1931-1957, Disques Arion.
Kwabena Nyama: Sunday, Monday, Buda Records.
The Highlife Allstars: Sankofa, Networkmedien.

*VEIT ARLT ist Doktorand am Zentrum für Afrika-Studien der Universität Basel. Zusammen mit der Radio-Journalistin SERENA DANKWA arbeitet er an der Plattensammlung der UTC. Informationen unter: www.scientific-african.de/ghanahighlife/



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