Traditionelle und moderne Musik stehen auf dem afrikanischen Kontinent in einem vitalen Spannungsverhältnis zueinander, das eine der wichtigsten Antriebskräfte für die historische Entwicklung afrikanischer Musikkulturen darstellt. Eine strikte Trennung dieser aus europäischer Sicht so polaren Musikformen ist in afrikanischen Kulturen weder möglich noch sinnvoll. Die neue 'Musikethnologie' richtet ihr Interesse folglich nicht mehr ausschließlich auf die 'authentische', d.h. von Fremdeinflüssen und rezenten Entwicklungen unberührte Musik eines 'Stammes', sondern basiert vielmehr auf einem dynamischen Traditionsbegriff. Dieser rückt nicht den Aspekt der Kontinuität und Geschlossenheit in den Vordergrund, sondern trägt mehr dem Prozesshaften, Dynamischen in der Manipulation und Transformation von Traditionen in den populären Stilen der afrikanischen Musik Rechnung. Afrika ist in besonderem Maße seit jeher ein Kontinent großer musikalischer Vielfalt und Dynamik, und es macht kaum Sinn, diese mit den Adjektiven 'traditionell' oder 'modern' zu kategorisieren. Dagegen ist es sinnvoll, von Musiktraditionen mit einer jeweils eigenen historischen (zum Teil sehr kurzen) Lebensspanne zu sprechen, die zudem meist einen kontemporären sozialen, gesellschaftlichen oder politischen Bezug haben. Die populäre afrikanische Musik ist traditionsbewusst und befriedigt insbesondere das Bedürfnis nach Rückbesinnung und kultureller Identität, welche gerade in Afrika durch Bürgerkriege, politische Unterdrückung, Verarmung, Vertreibung, kulturelle Entwurzelung und andere traumatische Erfahrungen stark beeinträchtigt werden. [vgl. Einleitung in Erlmann V (Hrsg.) Populäre Musik in Afrika. Berlin: Museum für Völkerkunde, 1991].
Die populäre Tanzmusik Ghanas ist ein besonders gutes Beispiel für das musikalische Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne bzw. zwischen Stadt und Land. Die unter dem Namen Highlife subsumierten westafrikanischen Musikstile und -traditionen lassen sich bis in das späte 19. Jahrhundert zurückverfolgen, als sie ihren Ausgang in der britischen Kolonie Gold Coast, dem heutigen Ghana, nahmen. Der schwerpunktmäßig instrumentale Highlife diente von Beginn an nicht nur der öffentlichen Unterhaltung sondern auch der kulturellen lokalstaatlichen und nationalen Repräsentation. Sein Erscheinen war von einer Reihe gesellschaftlicher, geistiger, wirtschaftlicher sowie politischer Entwicklungen begleitet, die zuerst mit den Auswirkungen der europäischen Kolonisation, danach mit den Auseinandersetzungen afrikanischer Völker mit ihrer Kolonisierung, und schließlich mit deren allmählicher Überwindung und gänzlicher Beseitigung im Zusammenhang standen. Der Highlife ist geprägt durch die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit einer fremden Kultur: Europäische Musikformen wurden in die eigene integriert, und es wurde daraus etwas völlig Neues entwickelt, ohne die eigenen Traditionen zu vernachlässigen oder zu vergessen. Dadurch entstanden neue Musikformen auf drei Ebenen: a) neue traditionelle Musik, b) Nachbildungen der fremden Musik, und c) eine populäre Musikkultur, in welcher Elemente der beiden anderen in akkulturativer Weise miteinander verbunden wurden. Diese Entwicklung steht im direkten Zusammenhang mit den allgemeinen Verhaltensweisen der betreffenden Gesellschaft und zeigt die geistige und materielle Flexibilität derselben auf. [frei zitiert aus Sackey CK Highlife - Entwicklung und Stilformen ghanaischer Gegenwartsmusik - Mainzer Beiträge zur Afrika-Forschung Band 3. Münster: Lit Verlag, 1996]
Herr Collins zählt zu den herausragenden Wissenschaftlern im Bereich der westafrikanischen Popularmusikforschung. Der seit mehr als 50 Jahren in Ghana lebende gebürtige Brite hat sich bereits in den späten 60er Jahren als Musiker, Musikwissenschaftler und Schriftsteller einen Namen gemacht und lehrt seit nunmehr 6 Jahren als Associate Professor am Music Department der University of Ghana in Legon. Durch eine Vielzahl von Publikationen wurde Collins weltweit bekannt und ist inzwischen einer der gefragtesten Gelehrten für westafrikanische populäre Musik. Als Gastdozent lehrte Collins bereits an den Universitäten von Yale, Harvard, Wesleyan, Berkeley, Columbia, Syracuse, Illinois, Champagne-Urbana, Toronto, Carlton, Lunde, Göteborg, Oslo, Kopenhagen, York und Mainz, sowie an den Einrichtungen: L'Ecole de Mine in Paris, France SOAS, London Africa Centre, Birmingham Centre for West African Studies, WOMAD conference, Toronto Museum in Canada, Völkerkunde Museum Berlin, Tropical Institute of Amsterdam und dem Rhythmic Music Conservatory of Denmark. Kennzeichnend für seine kultur- und sozialwissenschaftlichen Forschung ist zum Einen ein hohes Maß an Interdisziplinarität. Zum Anderen verfügt er über eine ausserordentliche Vertrautheit mit den Musikschaffenden Ghanas ('Bodenkontakt'). Seit Jahren widmet er sich besonders dem Phänomen 'Weltmusik' und sucht Antworten auf die Frage, "why the soul and swinging cross-beats of Black Diasporic and African music have become such a dominant force in the modern world". Dabei bedient er sich nur musikethnologischer Methoden sondern schöpft auch aus einem großen Wissen im Bereich der Psychologie, Medizin, Philosophie, Physik und Mathematik. Die zentrale Frage ist auch Leitmotiv seines neuen Buches 'Roots Rhythms and Relativity - African Dance Music in the New Millennium' (s. Synopsis.pdf), welches afrikanische und westliche musik-philosophische Konzepte und Weltanschauungen miteinander vergleicht.
Biografie, Publikationen (pdf-Dateien), Musikbeispiele (mp3-Dateien) und Referenzen
Die Verkaufszahlen populärer Musikproduktionen in Europa, Amerika und großen Teilen der dritten Welt belegen eindrucksvoll: Die populäre Musik der modernen Industriestaaten ist 'schwarz' und meistenteils afrikanischen Ursprungs. Die Besonderheiten afrikanischer Musik haben zu einer wohl einzigartigen musikalischen Weltrevolution während des vergangenen Jahrhunderts geführt. Dies ist einer der Gründe, die Phänomenologie der afrikanischen Musik im Rahmen der Lehrveranstaltungen des Lehrstuhls 'Phänomenologie der Musik' der Fakultät für das Studium fundamentale an der Universität Witten/Herdecke zum Wintersemester 2002/03 in den Mittelpunkt der akademischen Veranstaltungsreihe zu stellen.
Das Seminar, welches in englischer Sprache gegeben wird, besteht aus einem theoretischen und einem praktischen Teil. Letzterer wird in den Workshop zur Palmweinmusik und zum Highlife integriert, der in der zweiten Woche des Aufenthaltes von Prof. Collins an der Universität Witten/Herdecke stattfindet.
The lecture course is accompanied by slides, videos, musical examples and demonstrations and will include the following areas:
1. Background information on traditional performance in sub-Saharan Africa, including its functional role in society.
2. The origins of acculturated sub-Saharan African popular music, dance, drama, and culture back to the early 19th Century. The role of freed slaves, colonial brass-bands, church missions, seamen, the local African merchants and elite, early mass media. The growth of a West African 'art' music tradition.
3. The complex relationship between popular and traditional performance resulting from direct links with the past and the retrospective incorporation of local elements into current African popular art. This latter 'progressive indigenisation' of a contemporary art modifies the usual traditional-to-modern models of social, cultural and developmental change.
4. The use of popular culture studies in decoding the de-colonisation process; the early nationalist movement; the influence of the Second World War on the independence struggle; mass political parties, independence songs and vernacular critiques of the colonial ideology; nègritude, 'authenticité' and Pan-Africanism.
5. African retentions in the Americas and the catalytic impact since 1800 of the black arts (and ideologies) of the New World on black Africa. These two processes constitute parts of a long-term, cyclical, black diasporic, trans-Atlantic feedback phenomenon.
6. Comparisons with and direct links between American minstrelsy/vaudeville and African popular theatre.
7. Mass communications and African popular entertainment. Cultural imperialism versus the Africanisation of the mass-media. Cultural homogenisation versus diversity, autonomy and 'transculturation'.
8. The dual hegemonic/anti-hegemonic nature of African popular art. Protest songs cf. state propaganda and the 'invention of a tradition'. The semiotic reinterpretation of popular texts by the public.
9. The way popular performance mirrors and articulates the urbanising process and new urban relations. Migration and the lure (and dangers) of city life. Rural-urban feedback. Urban socialisation and lingua francas. The key role of the 'intermediary' class of urban Africans as cultural brokers and innovators. Their 'hijacking' of elite culture.
10. The relevance of popular performance genres to the formation and identity of the new economic classes in Africa. Popular texts that strengthen modern class identity. Elite consolidation and the 'high life'. Money 'palava' and the plight of the poor.
11. The role of women in the traditional African performing arts. Explanations for the explosion of popular African female artistes since the 1960's. This includes the important role the church has played in the feminisation of African popular entertainment, which compares to the similar role of the black church in the United States.
12. Generational conflict expressed through traditional, neo-traditional and popular performance in Africa. The music of age-sets. Parental attitudes. Youth fashions and sub-cultures.
1. Demonstration of the basic principles and aesthetics of traditional African cross-rhythmic drumming and dancing. This includes discussions on the resonance between the symbolic systems embedded in the African of performing arts and those found in the wider African macrocosm (social-ritual structure, aesthetics and religions .
2. Teaching groups of students to play the multiple interlocking patterns of 10 Ghanaian and Togolese drum-dances. These include agbadza, tigari, blekete and adowa (in 12/8 time), gahu, sohu, kpatsa, highlife and kpanlogo (in 4/4 time).
3. Teaching the oppositional West African two-finger picking guitar technique and the fundamentals of local 'palmwine' highlife music.